Treść artykułu Gustava Fechnera Ueber die Frage des goldenen Schnittes, Archiv für die zeichnenden Künste 11 (1865) str. 100–112.
Ueber die Frage des goldenen Schnittes,
von G. Th. Fechner.
(Excurs zu einer künftig erscheinenden Schrift über die Holbein’sche Madonna.)
Wie stellt es sich mit der Anwendung des jetzt so viel besprochenen goldenen Schnittes auf die Malerei? Zeising, der Entdecker der ästhetischen Bedeutung des goldenen Schnittes, macht als ausgezeichnetstes Beispiel derselben die Sixtina geltend1. Fragt sich, ob die, der Sixtina so gern zur Seite gestellte, Holbein’sche Madonna ein zweites Beispiel dazu liefert; und allgemeiner: was ist überhaupt von dieser Abtheilungsweise ästhetisch zu halten? Das Folgende mag als ein Beitrag zur Beantwortung der Frage dienen. Zuvörderst eine kurze Erinnerung an das Princip des goldenen Schnittes.
Nach Zeising ist ein Gegenstand in wohlgefälligster Weise abgetheilt, wenn der kleinere Theil desselben, sogen. Minor, sich zum grösseren Theil desselben, sogen. Major verhält, wie der grössere beider Theile zur Summe beider Theile oder zum Ganzen. Das kommt nach einer leichten Rechnung darauf hinaus, dass sich Minor und Major nahehin wie 5:8, oder genauer wie 55:89, oder 100:162 verhalten. Dasselbe Verhältniss ist nach Zeising das ästhetisch – vortheilhafteste Dimensionsverhältniss, nämlich zwischen Länge und Breite oder Breite und Höhe eines Gegenstandes Fassen wir nun den goldenen Schnitt zuerst im ersten Sinne als Abtheilungsverhältniss in’s Auge. Wie liegt er bei der Sixtina und wie bei der Holbein’schen Madonna?
Unsere beiden Bilder sind in so analoger Weise ihrer Höhe nach getheilt, dass man auch den goldenen Schnitt in beiden in analoger Weise suchen kann. Niemand wird in Zweifel sein, dass der Hauptschnitt, die Hauptabtheilung, bei der Sixtina durch die Linie bestimmt wird, welche die Kopfhöhen des heil. Sixtus und der heil. Barbara verbindet; auch legt ihn Zeising so; die Mitte dieser fast horizontalen Linie auf der Madonna kann den Höhepunkt bestimmen, bis zu welchem das Mass des Minor vom obern Gränzpunkte und von welchem an das Mass des Major bis zum untern Gränzpunkte zu nehmen ist. Entsprechend wird dieser Punkt in der Holbein’schen Madonna als Mitte der fast horizontalen Linie zu bestimmen sein, welche die Kopfhöhe des Bürgermeisters auf der einen Seite und der ältesten Frau auf der andern Seite verbindet. Wie aber nun den obern und untern Gränzpunkt nehmen? Hier beginnt der Zweifel. Ob in dem obern und untern Bande des ganzen Bildes? So scheint es doch; was könnte berechtigen, wenn man nach dem goldenen Schnitte bei einem Bilde fragt, die Gränzen des Bildes innerhalb des Bildes zu nehmen, und wo da gut bestimmte Gränzen finden? Auch wollte ein Kunstfreund, den ich bat, die Zeising’sche Angabe bezüglich des goldenen Schnittes in der Sixtina an dem, in seinem Besitze befindlichen, Müller’schen Stiche zu controliren, ohne Weiteres die ganze, durch jenen Schnitt zu theilende Länge vom obern bis zum untern Bande des Bildes nehmen. Dies also scheint fast das Natürlichste. Jedoch das will nicht passen; giebt vielmehr für das Verhältniss von Minor zu Major in der Sixtina fast das Verhältniss 1:2 statt 5:82. Zeising musste also andere Gränzpunkte genommen haben, da er den goldenen Schnitt hier „genau‘‘ zutreffend findet; und man kann ja auch wohl statt des ganzen Bildes nur den in der Figurengruppe bestehenden Kern desselben in Betracht ziehen. So hat Zeising in der That gethan. Der obere Gränzpunkt ist in diesem Falle wieder gut genug bei unsern beiden Bildern bestimmt, bei der Sixtina durch den höchsten Punkt des Kopfes der Madonna, bei der Holbein’schen Madonna durch die Spitze ihrer Krone. Auch der untere lässt wenig Zweifel bei letzter, um so mehr bei erster; denn die drei Figuren der Sixtina enden nach unten sehr unregelmässig und in verschiedener Höhe. Da aber der Hauptschnitt durch die Linie bestimmt war, welche die Kopfhöhen des heil. Sixtus und der heil. Barbara verbindet, und deren Figuren bis unter die der Madonna herabreichen, musste jedenfalls der untere Gränzpunkt in der Linie zu suchen sein, welche die mittleren oder vorstechendsten oder untersten Punkte der unteren Begränzung dieser Figuren verbindet. Aber alles das will wieder gar nicht passen; und ich suchte auf diese Weise ganz umsonst den goldenen Schnitt3, bis ich endlich entdeckte, dass er zwar nicht genau, wie Zeising sagt — denn man muss Zeising’s „genau“ in Sachen des goldenen Schnittes nicht zu genau nehmen — aber doch sehr angenähert gefunden wird, wenn man den untern Gränzpunkt in das untere Ende, d. i. die rechte Fussspitze, der Madonnenfigur legt, wohin ihn freilich niemand legen kann, der den goldenen Schnitt für die ganze Gruppe sucht. Der Minor vom höchsten Punkte der Madonna bis zum mittlern Punkte des oben bezeichneten Hauptschnittes beträgt im Müller’schen Stiche 168 Millimeter, der Major von da bis zur Fussspitze 280 Millimeter. Verhältniss 100:167 statt 100:162, was nicht sehr von einander abweicht. Der untere Gränzpunkt des genauen goldenen Schnittes freilich würde bei Festhaltung des obigen mittleren und oberen Punktes vielmehr in die Zehen als Zehenspitze fallen, womit auch das Resultat an einer kleineren Brockmann’schen Photographie (à 10 Ngr.) nach der Originalzeichnung von Schurig überein stimmt. Und diese Uebereinstimmung zwischen der Müller‘schen (oder vielmehr Seydelmann’schen) und Schurig’schen Copie beweist, dass die Abweichung vom genauen goldenen Schnitt noch gross genug ist, um dem Augenmasse nicht zu entgehen. Auch Raphael‘s Augen würde sie nicht entgangen sein, wenn darin eine Abweichung von der Schönheit läge.
Ich bezweifle, dass man hiernach von einer Bestätigung der Hegel des goldenen Schnittes in der Sixtinischen Madonna sprechen kann, da sie sich nur bei einer unangemessenen Anlegungsweise des Masses und auch dann nur mit einer Annäherung findet, die man nicht hinreichend finden kann. Indessen, Zeising ist scharfsinnig genug, für die Weise, wie er seine Masse anlegt, in jedem Falle eine Rechtfertigung zu finden, und so wird sie ihm auch bei der Sixtina nicht fehlen. Für selbst noch grössere Abweichungen vom richtigen goldenen Schnitte aber, als die Abweichung an der Zehe der Sixtina beträgt, wird gern von ihm das Princip benutzt, dass der goldene Schnitt ein Ideal sei, um das die Wirklichkeit nur in weiteren oder engeren Gränzen schwanke. Warum traf es aber dann ein Maler, der, wenn je einer den feinsten Takt in Darstellung idealer Gestalten bewährte, nicht in der idealsten seiner Gestalten so genau, als es das Augenmass verträgt; er brauchte die Figur der Madonna dazu nur um ein Weniges untersetzter zu machen, oder anders zu rücken, hat sich aber freilich wohl gehütet, es nur um ein Haarbreit zu thun.
Doch, seien wir billig, und lassen uns so kleine Abweichungen, und fänden wir sie selbst bei Raphael, immerhin gefallen, falls sie in analogen Fällen mit nicht grösserem Belange diesseits und jenseits des Richtigen wiederkehren. Vielleicht auch forderte der erhabene Charakter der Madonna den kleinen Ueberschuss des Major über die Forderung der reinen Schönheit; Zeising selbst mag es möglicherweise so deuten; und lassen wir auch dies uns gefallen. Run aber bietet uns das Holbein’sche Bild durch seine analoge Disposition einen der passendsten Fälle, zu prüfen, wie es in andern analogen Fällen steht ; um so mehr, als der untere Gränzpunkt hier nicht gleicher Unsicherheit als bei der Sixtina unterliegt, vielmehr das untere Ende der Gruppe, wenn schon nicht ganz genau, aber sehr nahe mit dem unteren Ende der Madonnenfigur zusammenfällt, also die, bei der Sixtina kaum angemessen erscheinende, Massnahme, welche zur Annäherung an den goldenen Schnitt führt, hier wirklich angemessen erscheint. Um so sicherer und genauer hätten wir hiernach das Zutrelfen des goldenen Schnittes zu erwarten.
Ich nehme also an der grössten Brockmann’schen Photographie nach Schurig’s Zeichnung die Masse ganz entsprechend, als Zeising bei der Sixtina gethan; d. h. ich messe vom obersten Punkte der Madonnenfigur, hier der Spitze der Krone, bis zur Mitte der Linie, welche die höchsten Punkte der Seitengruppen verbindet, und finde 110 Millimeter als Minor; von dieser Mitte bis zu dem, hier durch einen Gewandrand bezeichneten , untersten Punkte der Madonnenfigur, merklich in gleichem Niveau mit dem Fussende des untern nackten Knäblein , und finde 206 Millimeter als Major; Verhältniss 100:187 statt 100:162. Das will also nichts weniger als passen. Roch weniger passt’s, wenn ich, was eigentlich vorzuziehen, als unteren Gränzpunkt der Gruppe die Mitte der Linie nehme, welche den Fusspunkt des knieenden Jünglings mit der Mitte des Gewandrandes der knieenden weissen Jungfrau verbindet. Dann wird der Major gar 213 Millimeter; und wollte ich die Krone von 18 Millimeter Höhe nicht mit bei der Höhe der Madonna messen, um vielleicht etwas Passenderes herauszubekommen, wie denn Zeising die Akroterien zur Tempelhöhe rechnet oder nicht, je nachdem es passt, so würde es abermals noch weniger passen; dann hätten wir einen Minor von nur 92 Millimeter gegen einen Major von 206 bis 213 Millimeter.
Aber wir haben einen Fehler begangen, der unsern Fehlschlag erklärt. Wir haben den goldenen Schnitt in der Holbein’schen Madonna nach der Bestimmung an der Sixtina, nicht vorher, aufgesucht; wo wir die Freiheit gehabt hätten, die Anlegungspunkte des Masses so lange zu wechseln, bis er in irgend welcher Annäherung zu finden, statt gebunden zu sein, uns nach der Sixtina zu richten. Bei der Sixtina wollte es nicht passen, für die durch den Hauptschnitt zu theilende Länge die ganze Höhe des Bildes zu nehmen. Bei der Holbein’ sehen Madonna würde es so gut passen, dass Zeising sich nicht scheuen würde, den Ausdruck genau darauf anzuwenden. Der Minor giebt dann an der grossen Brockmann’schen Photographie 151, der Major 254 Millimeter. Verhältniss 100:168.
Will nun der goldene Schnitt weder bei der Sixtina noch der Holbein’schen Madonna anders als gezwungener Weise, und nur mit Inconsequenz von der einen zu der andern, passen, so könnten beides Ausnahmen sein; freilich bedenkliche Ausnahmen. Um jedenfalls die Hegel nicht zu verfehlen, habe ich sämmtliche Stiche nach Raphael, die in der reichen Raphael- Mappe meines Kunstfreundes enthalten waren, auf die Höhenabtheilung ihrer Gruppen nach dem goldenen Schnitte angesehen, und, wo etwas sich messen liess, gemessen. Bei der Mehrzahl freilich ist der Hauptschnitt oder die untere Gränze so unbestimmt, dass man diese Bilder ganz beiseite lassen muss; kaum irgendwo so bestimmt, dass man nicht schwanken könnte.
Indess vermochte ich mich doch bei folgenden mit meinem Freunde über die Punkte, zwischen denen zu messen, als die nach der Anschauung annehmlichsten Theilpunkte, zu vereinigen, und erhielt dabei folgende Resultate in Millimetern, wobei der Minor stets die obere Abtheilung bildet.
Minor. | Major. | Verhältniss. | |
Madonna del Passeggio | 156 | 274 | 1,75 |
Madonne Jardinière | 153 | 172 | 1,12 |
Madonna di Foligno | 218 | 308 | 1,41 |
Coronatio Virginis | 243 | 274 | 1,13 |
Anbetung der heil. 3 Könige (Ancajani) | 130 | 231 | 1,78 |
Heilige Catharina | 118 | 122 | 1,04 |
Verklärung Christi | 260 | 446 | 1,71 |
Die Zahlen der letzten Columne müssten alle nur wenig um 1,62 schwanken, sollte sich die Regel des goldenen Schnittes an diesen Bildern bestätigt finden.
Hiernach möchte man sagen, dass Raphael in der für die Anschauung sichtbarsten Höhenabtheilung seiner Gruppen den goldenen Schnitt vielmehr zu vermeiden, als einzuhalten gesucht hat; und obschon die obigen Verhältnisse sich etwas abändern können , wenn man bei dem Mangel sicherer Anlegepunkte des Masses dieselben etwas anders nimmt, als von uns nach bestem Ermessen des Eindruckes geschehen, so würde dies im Ganzen nichts Wesentliches ändern; und ich darf zu behaupten wagen, dass hier Zeising’s goldene Schnittregel, wenn schon von ihm selbst auf dies Gebiet mit angewandt, sich nicht bestätigt.
Nun aber findet doch Zeising die ausgedehntesten Bestätigungen derselben bei den Massen am menschlichen Körper, den schönsten Statuen, den schönsteu Bauwerken, ja überall im Himmel und auf Erden. Wenn nur nicht die Weise, wie er sic überall findet, zu viel Aehnlichkeit mit der Weise hätte, wie er sie bei der Sixtina findet. Nach einer ähnlichen Untersuchungsweise haben Andere die einfachen rationalen Verhältnisse, welche in der Musik die Consonanzen geben, anstatt des irrationalen goldenen Schnittes massgebend für die Schönheit des menschlichen Körpers und der Bauwerke gefunden, haben dabei so gut als Zeising Philosophie und Erfahrung zugezogen, und ich finde nicht, dass seine Untersuchungsweise einen principiellen Vorzug vor der ihrigen hat. Ein Mehreres hierüber anderwärts.
Ueberhaupt aber halte ich so complicirte Beispiele, als Zeising zum Beweise der ästhetischen und sonstigen Bedeutung des goldenen Schnittes geltend macht, für nicht geeignet zum Beweise, und ihre Menge vielmehr geeignet, den Fehler der Strenge zu multipliciren als zu heben. Einmal, weil sie der Willkür, das Mass so oder so anzulegen, zu grossen Spielraum bieten, zweitens, weil nicht klar abzusondernde, höhere ideelle und Zweck-Rücksichten bei diesen Beispielen zu sehr in’s Spiel kommen, die Form zu sehr mitbestimmen. Steht die Regel einmal fest, so kann man die Anwendung derselben an solchen Beispielen zeigen, aber sie nicht wohl daran feststellen. Vielmehr wird es mit den ästhetischen Gesetzen in dieser Hinsicht wie mit den physikalischen sein. Die Gesetze der Schwere, der Tragkraft, kann man nicht nur auf organische und unorganische Bauwerke anwenden, sondern muss sie darauf anwenden; eine fundamentale Ermittelung und Bewährung derselben ist nicht da zu suchen.
Aus demselben Grunde freilich, warum ich Zeising’s Erfahrungsbelege nicht als beweisend für den goldenen Schnitt ansche, können die vorhin angeführten Gegenerfahrungen keinen Anspruch machen, bindende Gegenbeweise dagegen zu sein. Er könnte trotz dem seine Geltung haben. Auch wollte ich damit nur zeigen, dass man, den von Zeising eingeschlagenen Weg verfolgend, wofern man nur nicht bloss die zutreffenden Beispiele und Massnahmen auswählt oder bevorzugt, eben so leicht die ästhetische Bedeutung des goldenen Schnittes widerlegt als bestätigt finden kann, und Sicherheit auf diesem Wege überhaupt nicht zu gewinnen ist. Hiezu, meine ich, muss man vielmehr mit einfachsten Beispielen operiren, wo sich das Mass nur in einer Weise anlegen lässt, und weder die Form durch den Zweck, noch das Wohlgefallen durch Association der Zweckerfüllung oder Bedeutung an den Anblick der Form wesentlich mitbestimmt wird.
Um zu beweisen, dass die Symmetrie wohlgefälliger ist als die Nichtsymmetrie, braucht man nicht an den menschlichen Körper und Bauwerke zu appelliren ; da möchte der Beweis immer zweifelhaft bleiben, so viel man messen wollte. Hach horizontaler Richtung herrscht sie vor, nach verticaler fehlt sie; ausnahmsweise selbst nach horizontaler. Aber die einfachste Vorlage einer symmetrischen Figur an gleichgültigem Stoffe gegenüber einer ähnlichen mit gestörter Symmetrie reicht hin, den Vorzug der Symmetrie zu entscheiden; jedes Kind wird die symmetrische Figur vorziehen , – und hiernach wird man der Symmetrie auch in Betrachtung der Schönheit der menschlichen Gestalt und Bauwerke Rechnung tragen können. Kun ist nach Zeising der goldene Schnitt sogar viel wichtiger, als die Symmetrie; er versuche es in ähnlicher Weise damit und wird sich überzeugen können, dass er jedenfalls viel unwichtiger ist. Oder soll vielleicht seine grössere Bedeutung sich erst in Kunstwerken von höherer Bedeutung entwickeln ? Aber jedenfalls müsste sich eine Spur der Entwickelung schon an Beispielen, wie folgt, zeigen, statt dass das Gegentheil davon sich zeigt.
Ist Zeising’s Ansicht richtig, so kann es kein wohlgefälligeres Kreuz geben, als dessen Längsbalken durch die Steilung des Querbalkens im Verhältniss des goldenen Schnittes getheilt ist, die Mitte des Querbalkens als Theilpunkt zwischen Minor und Major genommen, oder so dünne Kreuze vorausgesetzt, dass die Dicke der Balken als verschwindend gelten kann4. Heisse ein solches Kreuz nach dem goldenen Schnitt gestellt. Ich habe mich auf dreifache Weise überzeugt, dass das nicht die wohlgefälligste Stellung ist. Unstreitig aber ist das Kreuz, als Schmuckkreuz zum Schmuck ausdrücklich bestimmt, und keinem andern Zwecke dienend, dazu als schwebendes durch kein Verhältniss zum Boden mit bestimmt, zugleich eins der einfachsten Beispiele, die man wählen kann, das wohlgefälligste Ahtheilungsverhältniss einer Länge, giebt es anders ein solches, zu erforschen. Und bemerkenswerth genug, ungeachtet das Schmuckkreuz vom Crucifix her den Ursprung genommen haben mag, hat es doch nicht dessen Verhältnisse beibehalten; die Rücksicht auf Wohlgefälligkeit hat zu anderen Verhältnissen geführt, die alter nicht die des goldenen Schnittes sind. Ja, so schwer es ist, die Verhältnisse des allerwohlgefälligsten Kreuzes überhaupt festzustellen, so leicht ist es, festzustellen, dass die Stellung nach dem goldenen Schnitt sich weit davon entfernt. Der Querbalken steht bei dieser Stellung erheblich zu tief Vollends, wenn man stehende Kreuze, Grrabkreuze, Crucifixe massgebend halten wollte, wo der Querbalken noch höher als bei Schmuckkreuzen steht. Für keinerlei Art von Kreuzen passt die goldene Schnittstellung.
Ich habe die einfachsten, an ihren Enden nicht façonnirten, Schmuckkreuze bei verschiedenen Juwelieren, so wie viele Grrabkreuze auf Kirchhöfen gemessen; ich habe viele Kreuze aus Carton oder Papier, weiss auf schwarzem Grunde und schwarz auf weissem Grunde mit abgeänderten Verhältnissen der Länge, Dicke und Stellung der Balken dem Urtheile vieler Personen dargeboten; ich habe endlich viele Personen den, vom Längsbalken getrennten, Querbalken so lange auf dem Längsbalken bei senkrechter Stellung dagegen verschieben lassen, bis er am wohlgefälligsten zu stehen schien, mit ausdrücklicher Erinnerung, vielmehr an ein Schmuckkreuz oder schwebendes Kreuz als Grabkreuz oder Crucifix zu denken, und ganze Serien von Kreuzen dazu verwandt5. Alle drei Versuchsweisen haben zu dem übereinstimmenden Resultate geführt, dass die Stellung des Kreuzes nach dem goldenen Schnitte eine sehr unvortheilhafte ist. Allgemein muss der Querbalken verhältnissmässig um so tiefer stehen, je länger er im Verhältniss zum Längsbalken ist; man kann sogar aus vielen Versuchen eine Formel mit zwei Constanten für diese Abhängigkeit ableiten, welche die mittleren Resultate sehr gut wiedergiebt. Nun giebt es freilich eine, aber sehr unvortheilhafte Länge des Querbalkens im Verhältniss zum Längsbalken, wo noch das Günstigstmögliche durch Stellung auf den goldenen Schnitt erzielt wird; aber dies Günstigstmögliche ist ein sehr Ungünstiges überhaupt. Vielmehr finde ich, wenn alle Verhältnisse bestmöglich gegen einander abgewogen sind, für das wohlgefälligste Kreuz überhaupt, das Stellungsverhältniss des Minor zum Major auf dem Längsbalken etwa wie 1:2. Die verhältnissmässige Dicke der Balken hat auf die wohlgefälligste Stellung des Querbalkens keinen Einfluss, wohl aber auf die Wohlgefälligkeit des Kreuzes selbst. Am wohlgefälligsten scheint eine Dicke etwa = 1/5 Länge des Querbalkens. Als günstigstes Verhältniss der Länge des Querbalkens zu der des Längsbalkens möchte ich vorläufig etwa 4 : 7 oder 5 : 9, gleichgeltend mit 36/63 und 35/63 bezeichnen. Auch das goldene Schnittverhältniss, etwa wie 5:8, ist hiefür noch sehr wohlgefällig; doch, so viel ich nach meinen bisherigen Versuchen schliessen muss, nicht das wohlgefälligste. Ueberhaupt sind meine Versuche über diesen Gegenstand noch nicht abgeschlossen, und ich gebe daher die obigen Verhältnisse nur als ungefähre. Gewiss ist, dass jede erhebliche Entfernung davon das Kreuz ungefällig macht.
Manche meinen, der obere Theil des Längsbalkens und die beiden Arme des Querbalkens müssen gleich sein, um überall das wohlgefälligste Stellungsverhältniss zu geben. Aber, wenn man die Stellung des Querbalkens an einer Serie von Kreuzen vornehmen lässt, bei welcher der Querbalken überall gleich lang, der Längsbalken verschieden laug ist, wird der Querbalken bei den längeren Längsbalken, absolut genommen, um eine grössere Strecke herabgeschoben, als bei den kürzeren, indess er nach obiger Kegel immer eine seiner halben Länge gleiche Länge als oberen Theil des Längsbalkens abschneiden müsste.
Versteht sich, dass allen diesen Angaben nicht die Urtheile einzelner Personen, sondern Summen- und Mittelwerthe, die aus den Urtheilen Vieler gezogen sind, zu Grunde liegen, als Princip (für solche einfache Verhältnisse) angenommen, dass ein schlechter Geschmack gleich leicht nach beiden Seiten vom ästhetischen Normalwerthe abweichen kann, oder dass das der Normalwerth ist, von welchem durchschnittlich nach beiden Seiten gleich leicht abgewichen wird, womit man der prekären subjectiven Beurtheilung, welcherlei Personen als von gutem Geschmack zum Urtheil zuzuziehen sind, überhoben wird; nur müssen sie einen ästhetischen Unterschied überhaupt machen. Ihre Fehler nach beiden Seiten compensiren sich dann im Mittel.
Kreuze bestehen im Grunde aus zwei quer übereinandergelegten langen Rechtecken. Anstatt zwei solche quer übereinander zu legen, kann man auch zwei solche mit paralleler Richtung der Seiten in einander einschachteln, und erhält hiermit einen andern einfachen Verzierungsgegenstand, oft angebracht an Vertäfelungen von Decken, Wänden, Thüren. Bestätigt sich nicht vielleicht in der Theilung des Innenraums des äusseren Rechtecks durch das innere der goldene Schnitt? Es ist jedenfalls ein anderer einfacher Fall der Prüfung.
Man versuche es, solche Rechtecke in verschiedenen Verhältnissen in einander einzuschachteln, und wird sich überzeugen können, dass in der That ein erheblicher Unterschied der Wohlgefälligkeit zwischen den daraus gebildeten Combinationen besteht. Unter einer grössern Serie solcher Combinationen wurden manche bei Vorlage an viele Personen niemals, manche besonders häufig vorgezogen. Meist habe ich Combinationen vergleichend geprüft, bei denen das äussere Rechteck constant das Seitenverhältniss des goldenen Schnittes hatte, indess das innere bei den verschiedenen Combinationen variirte. Darunter kann man eine herstellen, bei welcher das Verhältniss des goldenen Schnittes so zu sagen durch das Ganze vollkommen durchgebildet ist. Von dieser sollte man die grösste Wohlgefälligkeit erwarten.
Zur Herstellung dieser Combination gebe ich (theils in Verzeichnungen, theils über einander geklebten Carton – Rechtecken) jedem beider Rechtecke für sich das Seitenverhältniss des goldenen Schnittes 100:162, und gebe auch sowohl der Länge als Breite des äusseren Rechtecks das Verhältniss des goldenen Schnittes zur Länge und Breite des inneren Rechtecks. Hienach hat, bei centraler Stellung des inneren, auch der Abstand zwischen den langen Seiten beider von selbst das Verhältniss des goldenen Schnittes zum Abstande zwischen den kurzen Seiten, und der Abstand irgend einer Seite des äusseren Rechtecks von der nächstliegenden parallelen des inneren das Verhältniss des goldenen Schnittes zum Abstande dieser Seite vom Centrum. Kurz beide Rechtecke sind für sich und in Verhältniss zu einander, nach Dimensions- und Abtheilungs- Verhältnissen so sehr, als überhaupt bei in einandergeschachtelten Rechtecken möglich ist, nach dem goldenen Schnitte eingerichtet. Und doch ist diese Combination unter denen, die sich bei gegebenem äusseren Rechteck durch Abänderung des inneren hersteilen lassen, eine der ungefälligsten. Das innere Rechteck erscheint dabei erheblich zu dick. Auch hierüber liegen mir Experimente mit dem Urtheile vieler Personen vor; und es ist eben so leicht, sich von dieser Ungefälligkeit zu überzeugen, als von der Ungefälligkeit der goldenen Schnittstellung bei Kreuzen; eben so schwer freilich auch, die allervortheilhafteste Abwägung aller Verhältnisse zu linden. Unter Beibehaltung des Seitenverhältnisses 100:162 für das äussere Rechteck scheint das wohlgefälligste Verhältniss zu sein, wenn man die Breite des inneren zum äusseren, wie 1:2 macht, und dann erhält man allerdings eine sehr wohlgefällige Combination, wenn man die Länge des inneren Rechtecks gleich der Breite des äusseren macht, hiemit den Längen beider Rechtecke das Verhältniss des goldenen Schnittes giebt; aber auch, wenn man die Längen beider im Verhältniss 3:5, oder 2:3, oder 1:2 nimmt; auch scheint es einen Unterschied zu machen, ob man die Combination als stehende oder liegende betrachtet. Und wie sich die Verhältnisse des inneren Rechtecks abändern müssen, wenn dem äusseren nicht das Verhältniss des goldenen Schnittes von vorn herein gegeben ist, bleibt noch zu untersuchen. Gewiss nur, dass die Durchführung des goldenen Schnittes, welche nach Zeising die Schönheit des menschlichen Körpers wie des Parthenon begründet, bei diesem einfachsten Beispiele keine Wohlgefälligkeit zu begründen vermag.
Sollte man aber diese Beispiele noch für zu complicirt halten, um gegen den goldenen Schnitt zu beweisen; was dann zu den Zeising’schen Beweisbeispielen für den goldenen Schnitt sagen? Ich bin auch bis zum Einfachsten zurückgegangen , habe eine Linie simpel durch einen Punkt im Verhältnisse des goldenen Schnittes und andere Linien nach anderen Verhältnissen abgetheilt, und keinen Vorzug der ersten Abtheilungsweise vor den andern im Urtheile einer Mehrheit von Personen erhalten können; nur dass der gänzliche Mangel eines ästhetischen Interesse an solcher Abstractheit bei den Befragten Versuche darüber überhaupt verdriesslich macht; auch schieben sie unwillkürlich doch ein concretes Beispiel unter.
Warum übrigens sollte nicht auch ein Löffel, ein Messer, eine Gabel, um möglichst wohlgefällig zu erscheinen, nach dem goldenen Schnitte abgetheilt sein, wenn dies das wohlgefälligste Abtheilungsverhältniss wirklich wäre r Der Zweck würde schwerlich verbieten, die Länge des Stieles oder Handgriffes danach einzurichten ; also wird die Complication damit nicht schaden. Zeising messe nach, ob er ihn hier und in ähnlichen einfachen Beispielen, wo der Zweck nicht massgebend ist, bestätigt findet. Mir ist es nicht gelungen.
Nach all’ dem hege ich die stärksten Zweifel gegen die ästhetische Bedeutung des goldenen Schnittes als Abtheilungsverhältniss; denn was nach Vorigem dagegen spricht, scheint mir fundamentaler, als was Zeising dafür hat geltend machen können. Anders verhält es sich mit dem goldenen Schnitt als Dimensions- oder Seitenverhältniss bei einfachen Rechtecken und vielleicht darüber hinaus. Mit so ungünstigem Vorurtheile dagegen ich an die Untersuchung darüber gegangen bin, habe ich mich doch durch eben so einfache Versuche, als vorhin gegen die ästhetische Bedeutung des Abtheilungsverhältnisses sprachen, von der des Seitenverhältnisses überzeugt, einer Bedeutung, die zwar viel geringer als die der Symmetrie, aber doch nicht fehlend ist. Bei der Symmetrie ist jeder einzelne Versuch entscheidend; bei dem goldenen Schnitt erst der Durchschnitt und die im Ganzen überwiegende Bevorzugung. Dies hat sich theils bei Vorlage einer grösseren Serie von Rechtecken aus weissem Carton mit variirtem Seitenverhältnisse an einigen hundert Personen dadurch gezeigt, dass das nach dem goldenen Schnitt gestaltete am häufigsten als das wohlgefälligste vorgezogen wurde (am meisten verworfen das Quadrat und die demselben sich nähernden Rechtecke), theils durch Massbestimmungen an den einfachsten, vom Zweck nicht wesentlich influirten, Anwendungen, welche im Verkehr verkommen, unter Zuziehung aller Exemplare, die man sich verschaffen konnte, und Ziehung mittler Resultate. Wogegen die, so oft namentlich in der Architektur und dem Bau des menschlichen Körpers als schöne Normalverhältnisse erklärten einfachen rationalen Verhältnisse, welche den musikalischen Consonanzen entsprechen, nach beiden Prüfungsmethoden gar keinen Vortheil haben. Die Wohlgefälligkeit nimmt nach Massgabe der Entfernung des Seitenverhältnisses vom goldenen Schnitt continuirlich ab, ohne beim Durchschreiten durch einfache Verhältnisse, wie 1:2, 2:3, 3:4, sich irgendwie zu steigern. So nach Versuchen, wo Rechtecke in allen möglichen unregelmässigen Lagen gemischt dem Urtheile dargeboten wurden. Vom Unterschiede, je nachdem die Rechtecke stehen oder liegen, spreche ich hier nicht.
So sehr ich nun hienach glaube, dass Zeising’s Entdeckung der Bedeutung des goldenen Schnittes eingeschränkt werden muss, halte ich sie doch auch in dieser Beschränkung für eine sehr interessante, ja für die erste, die man als wirkliche Entdeckung in der Aesthetik bezeichnen kann. Sie wird seinen Kamen in der Geschichte der Aesthetik forterhalten. Und gewiss war es genialer, sie zu machen, als sie zu beschränken.
Von all‘ dem hier nur kurz, um an einem andern Orte ausführlicher mit genauerer Angabe der Methode und Massresultate davon zu handeln.
Unstreitig erstreckt sich die experimentale Aesthetik nur auf ein niederes ästhetisches Gebiet. Aber nach der Steigerung, w-elche die Ursachen eines niederen Wohlgefallens durch Hineintreten in die Bedingungen eines höheren in ihrer Wirkung erfahren können, darf man sie doch auch für die höhere Aesthetik nicht gleichgültig halten, und es wäre zu wünschen, dass man, anstatt sich mit bequemen Behauptungen und Gegenbehauptungen aus allgemeinen Gesichtspunkten über den ästhetischen Werth solcher Verhältnisse zu streiten, womit man nie über den Streit hinauskommen wird, den von Zeising schon eingeschlagenen, nur meines Erachtens nicht ein wurfsfrei angewandten, Weg des Masses und den hier betretenen Weg des Experimentes öfter und in weiterer Ausdehnung zu Feststellungen darüber benutzte.
1 „Wo — sagt er — das gesetzliche Mass [des goldenen Schnittes] wirklich innegehalten ist, wird auch stets eine befriedigende Wirkung damit verbunden sein, wie denn, um nur ein Beispiel anzuführen, zu dem Eindrücke der Einheit und Totalität, den das vollendetste aller Gemälde, Raphael’s Sixtinische Madonna, auf uns macht, sicherlich auch der Umstand nicht wenig beitrug, dass die Hauptabtheilungen seiner Höhe, welche durch den Scheitel der Madonna und durch die der zur Seite befindlichen Figuren begränzt werden, genau unserm Gesetz entsprechen.“ (S. Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers S. 413.)
2 An einer kleineren Brockmann’schen Photographie von mir nachgemessen: Minor 36, Major 71 1/2 Millimeter.
3Zeising giebt über die Bestimmung des unteren Gränzpunktes nichts an.
4Ich habe mit Kreuzen von verschiedenster Dicke, darunter ganz dünnen, operirt.
5Merkwürdig, aber an mehreren Serien von Kreuzen, bei einer grossen Anzahl von Individuen bestätigt, dass Frauen durchschnittlich den Querbalken etwas tiefer stellen, als Männer. Für ein Definitivresultat wird man das Mittel aus beiderlei Stellungen zu nehmen haben.